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Meißnertreffen 2013

IMG_3903Neugier war vielleicht das größte Motiv, und ein wenig der Wunsch, einem historischen Ereignis beiwohnen zu wollen. Eine Gruppe von elf befreundeten Erwachsenen aus VCP Niedersachsen, BdP Niedersachsen und DPB nahm am Meissnerlager der Jugendbewegung teil. Mit diesem wurde das 100-jährige Wiederkehren des Freideutschen Jugendtages gefeiert.

Damals hatten sich Jugendliche und Jugendbewegte aus der Lebensreformbewegung, aus dem Wandervogel und anderen Bereichen im Nordhessischen getroffen, als Protest gegen den Militarismus und die starre Gesellschaft des Wilhelminischen Kaisertums, und um einen Aufbruch der Jugend zu demonstrieren. Es entstand auch die berühmte Meißnerformel:

Die Freideutsche Jugend will nach eigener Bestimmung, vor eigener Verantwortung, in innerer Wahrhaftigkeit ihr Leben gestalten. Für diese innere Freiheit tritt sie unter allen Umständen geschlossen ein.

Am 1. bis 6. Oktober wurde nun dieses Jubiläum mit einem großen Lager gefeiert. Es nahmen viele bedeutende Bünde der heutigen Jugendbewegung teil, die großen Pfadfinder-Ringverbände VCP und BdP waren durch einzelnde Gruppen/Untergliederungen vertreten und nicht offizielle Mitveranstalter. Insgesamt etwa 3.500 Teilnehmende hatte das Lager und somit ein wenig den Charakter eines Bundeslagers des VCP; auch vergleichbar aufgrund der damit verbundenen infrastrukturellen Herausforderungen. Eine Vielzahl von Bünden war dabei, insgesamt waren sowohl die protestantische als auch die überkonfessionelle Pfadfinderei stark vertreten und stellte damit nicht-pfadfinderische Gruppierungen, die sich stärker auf die Tradition der Jungeschaften oder des Wandervogels beziehen, zahlenmäßig ein wenig in den Schatten.

Über fünf Jahre dauerte die Vorbereitung des Lagers in verschiedenen Gremien wie dem Bundesführertreffen oder den Foren, die für die Vorbereitung des Programms zuständig waren. Man kann sich vorstellen, was es da für Diskussionsmarathons, Abspaltungsprozesse und faule Kompromisse gab. Immerhin wurden 2010 die rechtsoffenen bzw. nationalistischen Bünde (Sturmvogel, Fahrende Gesellen etc.) ausgeschlossen. Mit der Formel, beim Treffen keine "politischen" Bünde zu wollen, wurden auch die (SPD-nahen, in der Arbeiterjugend verwurzelten) SJD – Die Falken ausgeladen. Zwei Entscheidungen, die keineswegs überall auf Verständnis stießen.

Die teilnehmenden Bünde repräsentierten aber dennoch ein ziemlich breites Spektrum der Jugendbewegung. Inhaltlich stand wohl neben der Jubiläumsfeier der Austausch im Vordergrund. Das Programm hatte hohes Niveau, es gab intellektuelle, politische, ökologische und spirituelle Angebote und natürlich auch handwerklich-kreative Arbeitsgruppen. Im Vordergrund stand aber zweifelsohne das Musische. Tagsüber gab es Übungen im Chorgesang oder Volkstanz. In den Pinten wurden nächtelang an (teilweise recht rauchigen) Feuern, mit beeindruckender Instrumentierung alte und neue Lieder geschmettert. So ein Treffen ist hervorragend zur Verbreitung neuer Lieder geeignet. Ach ja, die Pinten: Von dem Meißner-Formel-Satz, die Treffen seien "alkohol- und nikotinfrei", hatte man sich verabschiedet; hoffte stattdessen auf einen verantwortlichen Umgang mit Genuß- und Rauschmitteln…

Beachtlich war das relativ hohe Durchschnittsalter der Teilnehmenden. Andererseits traten viele Bünde auch mit "tatsächlichen" und nicht nur "gefühlten" Jugendlichen auf. So war man sich häufig unsicher, was dieses Meißnerlager eigentlich war: Ein Jugendlager oder eine Art Klassentreffen der Bünde? Ein Widerspruch, der vielleicht auszuhalten war.

Ein Höhepunkt der Veranstaltung war der Festakt am Freitag. In einer knapp dreistündigen Veranstaltung wurde eine Rückschau betrieben und nach gemeinsamen Werten und Tugenden der Jugendbewegung gefragt. HP von Kirchbach aus dem VCP betonte die Notwendigkeit gesellschaftlichen Wirkens, die von der Pädagogik der Bünde ausgehen müsse. franca aus dem Vorbereitungskreis verglich die Jugendbewegung in ihrer Ambivalenz mit einer Art fortgesetzten Pubertät. Und Sebastian "Erbse" Arps aus der Freien Pfadfinderschaft Nordland warf gar provozierend ein, wichtiger als die letzten hundert Jahre Jugendbewegung seien die nächsten hundert Jahre.

Schließlich wurde für jedes Jahr eine Fackel entzündet und, wie 1913,  zum Abschluss die "Ode an die Freude" gesungen. Höchst bedauerlich aber, dass die Zeit von freiwilliger Eingliederung in die HJ, von Gleichschaltung, Verbot und Verfolgung der Jugendbünde in der Zeit des Nationalsozialismus bei der Feier nicht stärker thematisiert wurde – ein stärkerer Einschnitt in der Geschichte der Jugendbewegung ist doch wohl kaum zu verzeichnen?

Den ganzen Samstag über regnete es, die Sicht auf die atemberaubende Kulisse des Hohen Meißners war durch Nebelschwaden verhangen, und der Platz verwandelte sich zunehmend in eine vermatschte Festivalwiese. Zum Abbau am Sonntag klarte es jedoch wieder auf, und die Heimreise verlief problemlos, auch dank der guten Organisation.

Insgesamt war das 100jährige Jubiläum der Jugendbewegung eine gelungene Veranstaltung. Es wurde deutlich, dass die bündische Szene schon lange eine überbündische ist. Und warum auch nicht, die Bünde arbeiten ja beim Kirchentag hervorragend zusammen, warum nicht auch mehr gemeinsame Aktionen veranstalten? Ich vermute, dass auch die Bundeslager der "großen" Verbände BdP und VCP in den nächsten Jahren stärker überbündischen Charakter bekommen werden.

 sökö

Edit: Anzahl der Teilnehmenden um 100 nach unten korrigiert, Grammatikfehler korrigiert o_O

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